Historischer Amethyst-Fund am Saurüssel
Es ist nicht nur einer der bedeutendsten Amethyst-Funde in den Alpen, sondern auch eine inspirierende Geschichte: Trotz widriger Wetterbedingungen machen Erika und Rudolf Planitzer einen Jahrhundertfund und bergen wunderschöne Zepter- und Fensteramethyste im österreichischen Zillertal.
Das Zillertal in Tirol in den österreichischen Alpen zweigt etwa 40 Kilometer östlich der Landeshauptstadt Innsbruck vom Inntal ab. Seinen Namen verdankt es dem Fluss Ziller; umgeben wird es von den Tuxer und Kitzbühler sowie den Zillertaler Alpen. Die einst unberührte wunderschöne Landschaft ist vielerorts vom Massentourismus geprägt, der aber neben Viehzucht, Milch- und Forstwirtschaft den wichtigsten Wirtschaftszweig der Region darstellt. Historisch lassen sich erste Besiedelungen bis in die Bronzezeit zurückverfolgen (1200 bis 800 v.Chr.). Urkundlich wurde das Tal erstmals 889 n. Chr. erwähnt, als es im Besitz der Erzbischöfe von Salzburg war. Unter Sammlern ist das Tal schon seit alters her für Amethyst, Eisenrosen, Bergkristall, Granat und Diopsid bekannt – nur um eine unvollständige Auflistung der wichtigsten Mineralien zu nennen. Neben vielen anderen bekannten Fundstellen ist für diesen Artikel der Große Mörchner von Bedeutung – ein 3285 m hoher und wegen seiner bis zu 800 m hohen Felswände imposanter Berg in den Zillertaler Alpen. Welcher Alpinsammler träumt nicht davon, einmal einen schönen Amethyst-Zepter aus dem Zillertal in seine Vitrine stellen zu dürfen? Beim Linzer Sammlerehepaar Erika und Rudolf Planitzer hat sich dieser Traum vor Jahrzehnten erfüllt – und das gleich in hundertfacher Ausfertigung. Matrix-Stufen, Einzelkristalle und Kristallgruppen füllen die Regale einer ganzen Vitrine und stehen dabei so dicht, dass kaum ein Blatt dazwischen passt. Und was die Angelegenheit noch spannender macht, ist die Tatsache, dass es sich um Eigenfunde handelt.
Das Ehepaar interessiert sich schon seit langer Zeit für Mineralien. Rudolf bereits seit Kindesbeinen an; Erika ist seit ihrer Jugend sowohl von Botanik als auch von Mineralogie und Geologie fasziniert. Gemeinsam unternehmen sie Sammelreisen nach Namibia, in die Toskana, nach Deutschland und in die österreichischen Alpen. Zu ihrer Hochzeitsreise im Jahre 1962 verschlägt es die beiden in das legendäre Smaragdfundgebiet des Habachtals. Sechs Jahre später bereisen sie zum ersten Mal das Zillertal, wo wohl der Fund ihres Lebens auf sie warten wird. Erika Planitzer hat mir für diesen Artikel ihr persönliches Tagebuch zur Verfügung gestellt. In diesem dokumentiert sie bis ins kleinste Detail jenen Fund, der im Artikel beschrieben wird. Um noch besser die Emotionen bei der Suche nachzuempfinden, sind im Folgenden Ausschnitte aus Ihrem Tagebuch zu lesen. Mit ihren Zeilen, Fotos und Zeichnungen lässt sich auch nach 48 Jahren nicht nur ein genaues Bild des Fundes, sondern auch der Eindrücke und Gedanken der Finder nachzeichnen. Wegweisend für die damalige Zeit, hatten die beiden bereits 1976 die Wichtigkeit einer genauen Dokumentation für die Wissenschaft und die interessierte Fachgemeinde erkannt.
Eigentlich waren die Zeichen am 25. Juli 1976 bereits auf Abreise gestellt. An jenem Tag trafen die Planitzers im Zillertal ein, aber aufgrund des schlechten Wetters war bereits ein Abbruch der Unternehmung zur Diskussion. Doch zu groß ist die Begeisterung, wieder nach Mineralien zu suchen. So beschließen sie gemeinsam mit einem befreundeten Ehepaar aus Linz, das schlechte Wetter abzuwarten. Der darauffolgende Tag brachte leider keine Besserung, erst am Dienstag, den 27. Juli, lichtete sich der Nebel und die Temperaturen stiegen. Die kleine Gruppe stieg bis zur Berliner Hütte auf, doch der darauffolgende Tag sorgte durch Nebel und etwa 10 cm Schnee für erneut schwierige Bedingungen. Trotzdem begannen Erika, Rudolf und ihr Freund Hermann mit ersten Strahler-Tätigkeiten auf dem, neben der Edelweißklamm gelegenen, Saurüssel.
»Kleine Amethystsplitter und Bergkristalle gefunden. Vielleicht sollte man bei besserem Wetter nochmal nachschauen! – “Verdächtig“. Weiter Richtung Mörchnerkar. Beim ersten Steinmanderl schon in tiefem Schnee gestapft. Am späteren Nachmittag Rückmarsch zur Hütte. Sehr magere Mineralienfunde, aber großartige, tiefwinterliche Landschaft.«
Weitere zwei Tage später besserten sich die Bedingungen und strahlender Sonnenschein begleitete das Strahlertrio bei ihren Aktivitäten. Rudolf und Hermann hatten bereits im Vorjahr eine kleine Kluft entdeckt, mit langen Klufteisen und einigem Aufwand konnten sie diese vergrößern und tiefer in den Berg eindringen. Diese Mühe wird auch tatsächlich mit einem ersten doppelendigen Amethyst belohnt. Erika arbeitet nicht an dieser Kluft, hinterlässt aber folgenden Eintrag in ihrem Tagebuch:
»Habe zwischen sonnen und essen etwas herum prospektiert, unter anderem auch links (Richtung talabwärts), gleich neben einem großen alten Loch. Es war hier lauter lockerer, schwarzer Biotit – “wie Mohn“ und einige derbe, weiße Quarze. Ich spielte halt ein wenig weiter und legte einen kleinen Hohlraum frei. Ich sagte noch nichts. Schlief schließlich auf meinem Pickel sitzend bei meiner Arbeitsstelle ein.«
Zum Abschluss des Tages wurden die Funde geteilt, die ersten Erfolge weckten die Faszination von Neuem und motivierten die Sammler zu weiteren Arbeiten. Der Abend wurde mit gutem Essen und ein paar Gläsern Rotwein beschlossen.
Während die beiden Männer am nächsten Tag an ihrer Kluft weiter arbeiteten, widmete sich Erika ihrer eigenen Fundstelle. Laut ihren Aufzeichnungen ist es 11 Uhr, als sie Rudolf bei weiteren Stemmarbeiten um Hilfe bat. Zunächst stießen sie nur auf derben Quarz, doch die Stelle begann immer mehr interessante Anzeichen zu liefern und so beteiligte sich bald auch Hermann an den Arbeiten. Und dann blitzten die ersten Amethyst-farbigen Kristallflächen im Sonnenlicht und ein trichterartiger Hohlraum, der vollständig mit Kristallen ausgekleidet war, öffnete sich. Mit folgenden Worten lässt Erikas Eintrag den Moment auch heute noch lebendig werden:
»Ich holte mit den Fingern laufend Kristalle aus der Kluft. Es war toll, unglaublich und aufregend. Wunderbare Dinge bargen wir. Abends wurde alles aufgelegt und dann geteilt.«
Am darauf folgenden 31. Juli gibt es kein Halten mehr, bereits in den frühen Morgenstunden schreiten die Arbeiten am Kluftsystem voran. Dieses zieht sich steil nach rechts unten und die Funde mehren sich. Am Nachmittag verstärken Hermann, dessen Frau und Sohn die Anstrengungen des Ehepaars Planitzer. Die Stimmung war dank der immer zahlreicher werdenden Funde blendend. Anfang August kehren Regen und Kälte in die hochalpine Lage zurück. Die Witterungsbedingungen veranlassen zunächst Hermann und seine Familie zum Abstieg ins Tal. Auch den Planitzers bleibt letztendlich nur der Rückzug auf die Berliner Hütte, wo sie einen Tag mit einem guten Buch und etwas Schlaf verbringen. Am zweiten August lag wieder Schnee, Kälte und Wind waren allgegenwärtig. In der sogenannten Rutilschlucht löste sich sogar eine Lawine. Trotzdem wagten die Planitzers wieder den Aufstieg zur Kluft. Obwohl es kalt und windig war, präsentierte sich die wildromantische Landschaft in klarer Luft und Sonnenschein. Das Ehepaar marschierte völlig alleine durch die winterlich anmutende Kulisse – ihre einzigen Begleiter waren 12 Schneehühner. Erika hatte schwer mit den eisigen Temperaturen zu kämpfen und wollte bis spätestens 17 Uhr durchhalten. Ihre Eindrücke schilderte sie so in ihrem Tagebuch:
»Circa einen halben bis dreiviertel Meter vor meiner Kluft zieht sich eine 10 bis 12 mm starke Quarzader mit seitlichen, leichten Farbveränderungen durch das Gestein etwa 2 m in die Tiefe und verschwindet im Gneiss. Rudi zieht sie magisch an. Er beginnt auszuräumen und zu stemmen. Rudi stemmt und bricht einen schmalen Gang in den Felsen und ich räume das Material weg. Es ist schon beinahe 15h und noch immer nichts, aber Rudi arbeitet wie unter einem inneren Zwang weiter. Und dann bricht er am unteren Ende einen besonders hartnäckigen, großen Brocken heraus.«
Nun liegt ein Hohlraum frei, der nur unter großen Anstrengungen vergrößert werden konnte. Rudolf, der beruflich sonst am Schreibtisch tätig war, ist das anstrengende Stemmen nicht gewöhnt und hat alsbald mit Krämpfen und Schmerzen zu kämpfen, wollte aber trotzdem nicht aufgeben. Nachdem ihm Erika die Unterarme bandagiert hatte, stemmte er weiter. Nach erheblichen Arbeiten gelang es Erika endlich eine Hand in die geöffnete Kluft zu stecken - hier ihre Worte:
»Ich darf als erste hineingreifen und ziehe einen wunderbaren Amethyst, wir nennen ihn auch den Pförtner, da er gleich am Eingang der Kluft lag, heraus. Ich halte ihn gefühlvoll in der Hand und traue meinen Augen nicht - es ist einfach ein Wunder. So groß und schön !!! Kaum zu glauben, aber es ist wahr.«
Da die Stunden und das Tageslicht schwanden, gaben die beiden noch mal alles, um die Kluft noch mehr zu verbreitern. Sie wollten noch tiefer vordringen und dem Berg noch weitere Schätze abringen. Entsprechend euphorisch als auch drängend lesen sich die Zeilen im Tagebuch:
»Wir spüren nichts mehr von Wind und Kälte. Wir holen vorsichtig mit Pickel und Kratzerl, hauptsächlich mit den Fingern einen Amethyst nach dem anderen ans Tageslicht. Nach vielen Millionen Jahren in der Finsternis fällt das erste Mal Licht auf diese unglaublichen, glänzenden Wunder der Natur. So etwas erleben zu dürfen, ist ein großes Glück. Ich sag schon immer: Jetzt ist es aber genug, wir können ja gar nicht alles in den Rucksäcken unterbringen. Es sind zauberhafte Stücke dabei - und sie gehen heraus wie die Erdäpfel und sehen in Kluftletten eingebettet auch so aus. Aber ein Spitzerl oder eine Kante leuchtet immer aus dem Dreck heraus. Es ist kaum noch Platz zum Auflegen, alles Amethyste. Vorwiegend Zepter und oft auch noch gefenstert. Man möchte die Freude mit anderen teilen und dann wieder doch nicht. Wir sind glückselig. Beim Einwickeln geht das Zeitungspapier aus, denn es muss ja jedes Stück gut geschützt sein. Es wird alles als Verpackungsmaterial verwendet - Hauben, Arbeitshosen, Tücherl, Klopapier, Doserl usw.«
Bevor der Abstieg begann, räumte Rudolf weitere verdächtige Steine in der Kluft, verschloss und tarnte sie. Es sollte 19 Uhr werden, bis sie endlich von der Fundstelle aufbrechen.
»Wir schleppen schwer und vorsichtig und strahlen dabei. Vielleicht kommt daher der Ausdruck STRAHLER.«
In der Hütte sollten die Funde nicht von Fremden bemerkt werden, trotzdem wollten die beiden die Freude über ihren Fund mit den nach Linz zurück gereisten Freunden teilen. Da 1976 noch keine Handys existierten und Rudolf auch nicht vor allen anderen Hüttengästen von einer Großkluft am Telefon erzählen wollte, versuchte er auf etwas kryptische Weise seinen Freund Karl über die Ereignisse zu informieren. Bezugnehmend auf den Namen der Fundstelle (Saurüssel) improvisiert er Codesätze wie "Wir haben der Sau einen Zahn gezogen". Mit dem Hinweis "Wir haben Hochzeitstag, Freunde sollten kommen" bittet er um Verstärkung. Karl wusste diese Sätze richtig zu interpretieren und stieg bereits am nächsten Tag mit Hermann, Hannes, Gerhard und Otto zur Berliner Hütte auf. Rudolf hatte in der Zwischenzeit die enorme Dimension des Fundes vergegenwärtigt. Es war einfach zu viel für einen allein und seine besten Freunde sollten Anteil an diesem Fund haben, der bis heute eines der größten Amethyst-Kluft-Systeme des gesamten Alpenraumes darstellt.
Am 3. August ist Rudolf bereits alleine zur Fundstelle aufgestiegen, bevor der erste seiner Freunde die Berliner Hütte erreicht. Erika bedurfte einen Tag zur Erholung und begrüßte Gerhard, der die Nacht über durchgefahren war, um die weite Entfernung ins Zillertal zurückzulegen. Nachdem er von Erika eine Wegbeschreibung erhielt, stieg er ohne weitere Pause zur Fundstelle auf, die er schließlich zur Mittagszeit erreichte. Angekommen, entdeckte Gerhard nur noch Rudolfs Schuhe – dessen restlicher Körper steckte schon tief in der Kluft. Gerhard machte ein Foto von Rudolf; dieses wurde als bisher einziges Zeugnis des Fundes 1977 veröffentlicht. Noch nach Jahrzehnten erinnert sich Rudolf daran, wie erschrocken er war, als plötzlich ein paar Beine in seinem eingeschränkten Blickfeld auftauchten. Erst dachte er, ein weiterer Sammler könnte ihn entdeckt haben und ihm nun den Fund streitig machen wollen. Doch dann erblickte er das lachende Gesicht seines Freundes, der ihm zu Hilfe kam. Gemeinsam gelingt es ihnen, die Arbeiten zügig voranzutreiben. Es wurde eine erhebliche Anzahl weiterer guter Stücke geborgen, sicher verpackt und sofort in den Rucksäcken verstaut. Zweck dieser Arbeitsweise war es, dass zufällig vorbeikommende Wanderer oder andere Sammler nicht die unglaubliche Dimension des Fundes erahnen konnten. Erika erwähnt in der Dokumentation der Funde dieses Tages, neben unzähligen Amethysten, noch weitere Besonderheiten wie Sagenit (gitterartige Verwachsung von Rutilnadeln) und in die Amethyste eingewachsene Tremolit-Nadeln.
Zudem entdeckten Rudolf und Gerhard auch wasserklare Bergkristalle an den Wänden der Kluft, die zu diesem Zeitpunkt aber nicht unbeschädigt hätten geborgen werden können. Sie beließen diese zunächst an Ort und Stelle. Erika war es teilweise möglich die Arbeiten dieses Tages mit dem Feldstecher zu verfolgen, abends ergänzte sie ihren Tagebucheintrag mit einem Bericht ihres Mannes:
»Schon beim Aufhören schiebt sich Rudolf noch einmal in die Kluft und ergreift ganz hinten einen lettigen, länglichen Stein, legt ihn zwischen die Beine zurück. Heraus aus der Kluft wischt er den Brocken ab und es ist ein makelloser, stark gefensterter Amethyst- Doppelender (2,62kg schwer). Das war wieder ein Höhepunkt.«
Um etwa 18:30 Uhr eilte Erika von der Hütte aus den beiden Männern entgegen, die mit prall gefüllten Rucksäcken, einer mit weiteren Stufen gefüllten Plastiktasche und Kameras, die sie für botanische Aufnahmen mitführten, bepackt sind. Abends notiert sie in ihren Aufzeichnungen:
»Von der schweren, schönen Kluftarbeit gezeichnet, überall staubig, im Gesicht noch Kluftletten, blutige Finger, Pflaster und blaue Flecken am Körper, stapfen sie mir freudestrahlend entgegen. Wir rasten am Diopsidbacherl. Ich weiß was sie haben: keinen Durst, keinen Hunger (momentan) - Amethyste. Es sind riesige Gebilde dabei. Circa 30cm lang, 15 cm breit, schön gefenstert, farblich gut. Eine große Stufe von circa 30cm mit zwei etwa 16cm langen Amethystzeptern nennen wir wegen ihres Aussehens die "Schildkröte". Die Berggeister waren wieder einmal gnädig. es war ein guter Tag. Wir kommen spät zur Hütte. Als Abendessen gönnen wir uns, wie meistens, ein Bergsteigermenü, ein Viertel Rotwein, ein Omlett oder Kuchen. Schmeckt wie nie zuvor.«
Den 4. August nutzten die Sammler dazu, die bisher geborgenen Schätze ins Tal, zum Parkplatz Breitlahner zu transportieren. Die Rucksäcke – es sollten bis zum Ende 18 prall gefüllte werden – konnten wegen des hohen Gewichts nur mit mehreren Pausen ins Tal gebracht werden. Dort wurden sie möglichst unauffällig in Koffer, Taschen und Schachteln umgepackt und sorgfältig in den Kofferräumen verstaut. Gerhard, der beruflich nach Linz zurückkehren musste, wurde verabschiedet, bevor die Planitzers leichtfüßig mit leeren Rucksäcken wieder zur Berliner Hütte aufstiegen, um nochmals zwei volle Rucksäcke zum Auto zu bringen. Nun kehrten auch die beiden in ihre Heimatstadt zurück – eine Rückkehr war aber bereits für den 6. August geplant. Es bleibt ihnen noch genügend Zeit, um die bisherigen Fundstücke zu reinigen, bevor sie am Morgen des 6. August gemeinsam mit ihrem Freund Karl, dessen Frau Heide, Otto, Hermann und Hannes wieder ins Zillertal aufbrechen. Nach der langen Fahrt nach Tirol leuchtete über ihren Köpfen bereits der Sternenhimmel, als sie die Berliner Hütte schließlich gegen 22 Uhr erreichten. Mit großen Hoffnungen und Erwartungen machte sich die gesamte Truppe am nächsten Tag auf den Weg zur Fundstelle. Dort sollten sie erneut nicht enttäuscht werden. Durch die vielen helfenden Hände wird die Kluft nun immer größer, sie wird immer tiefer und zieht sich tief in den Berg hinein. Überall waren Amethyste. Erika erinnert sich mit diesen Zeilen:
»Zum Jausnen nehmen wir uns kaum Zeit. Es wird Brause getrunken, mit Wasser vom Mörchner. Das Wasser ist klar und rein. Nur Mineraliensammler und Schafe trinken daraus. Am Nachmittag besuchen uns zwei neugierige Sammler, die von uns einen großen Block mit zahlreichen kleineren Kristallen zum zerkleinern erhalten. Sie freuen sich darüber und ziehen zufrieden weiter. Die Kluft ist so groß geworden, dass drei mit Letten und Dreck verschmierte Männer darin arbeiten - ein Erlebnis. Immer wieder kommen Gustostückerl heraus. Jeder bemüht sich um den vordersten und schwierigsten Arbeitsplatz - versteht sich, ist ja auch der spannendste. Auch ich schlüpfe hinein und liege, mit den Händen nach Kristallen suchend, am Bauch - ganz toll. An den Kluftwänden und der Decke sieht man noch immer Amethystkristalle leuchten.«
Die Arbeiten zogen sich bis in die frühen Abendstunden. Nach dem Aufteilen und Verpacken wurde die Kluft erneut getarnt, bevor die Truppe mit sieben vollen Rucksäcken zur Hütte abstieg. Am 8. August bleibt Heide auf der Hütte; Hermann und Karl müssen wieder nach Linz zurückkehren. Es bleibt das Ehepaar Planitzer sowie Hannes und Otto, die weiter an der Kluft arbeiteten. Erika schreibt in ihrem Tagebuch: »Bin sehr froh, denn mir gefällt es hier im Saurüssel-Mörchnergebiet so gut, dass ich im Sommer am liebsten jeden Tag hier verbringen möchte. Um 18h30 geht an der Decke wieder ein Loch auf und wir können wunderbare Stücke bergen. Da Otto der Größte ist, bauen wir ihm in der Kluft einen Sockel, von dem aus er, von uns gestützt, leichter und weiter in das Loch an der Decke greifen kann, wo er einen lockeren dicken Kristall spürt.«
Erst nachdem auch dieser Kristall geborgen war, beendete das Team die Arbeiten und versiegelte nun ein allerletztes Mal die Kluft – über 600 größere Kristalle, Stufen und unzählige kleinere Stücke konnten allein vom Ehepaar Planitzer geborgen werden. Der Beschreibung Erikas nach, glänzten die weit verzweigten Gletscherbäche wie Silberbänder im diffusen Abendlicht. Ein Hauch von Wehmut und Abschiedsschmerz lassen sich in ihrem letzten Eintrag erkennen:
»Beim Steinmanderl sehen wir, wie der Mond über den Mörchner kommt. Wir liegen eine gute viertel Stunde auf dem Bauch und beobachten, wie er sich in Richtung Schwarzensteinsattel schiebt und dabei die Gletscher, Kare und Berge in ein wunderbares, geheimnisvolles Licht taucht. Es ist für uns eine großartige Abschlußzeremonie unserer diesjährigen, erfolgreichen Tour im Zillertal. Langsam und vorsichtig gehen wir zur Hütte. Ein letztes Mal für dieses Jahr.«
Als ich Rudolf Planitzer 2011 erstmals zur Fundmenge befragte, gab er 18 volle Rucksäcke mit etwa 600 Stufen an. Etwas schockiert, wird mir das unglaubliche Ausmaß des Fundes bewusst. Zudem sagt er mir, dass die aus allen Nähten platzenden Vitrinen nicht mal alle Stücke enthalten, sondern noch etliches Material in Kisten und Schachteln verpackt in seinem Keller schlummert. Rudolf weiß noch einiges zu berichten – die Kluft war damals noch nicht mal in ihrer gesamten Größe ausgebeutet. Er hat aufgrund des riesigen Fundes niemals nachgesucht, sehr wohl aber das Gebiet immer wieder besucht und das Voranschreiten der Kluft beobachtet. Im Laufe der Jahre blieb von der ehemaligen Hauptkluft fast nichts mehr übrig. Obwohl die Kluft, als die Gruppe sie 1976 verschloss, zum damaligen Zeitpunkt etwa 3 m tief, 1 m breit und 2,5 m hoch war, wurden die Felsen in den darauffolgenden Jahrzehnten rundherum fast vollständig abgetragen. Rudolf konnte über Jahre hinweg immer wieder Stufen in Sammlungen entdecken, die sich seiner Kluft zuordnen ließen. Die gesamte Fundmenge muss also gigantisch sein.
Neben Amethysten, die sowohl als Zepter, als auch als Negativzepter sowie gefenstert, vorkamen wurden noch folgende Begleitmineralien gefunden: Rauchquarz, Bergkristall, Pyrit (hochglänzende Oktaeder bis 6 mm Kantenlänge und limonitisierte Würfel bis 15 mm Kantenlänge). Ebenso kamen Rutil als Einzelkristalle mit bis zu 26 mm Größe oder als Sagenit-Gitter vor. Meistens sind einzelne Kristalle auf Amethystzepter aufgewachsen, als Sagenit in Bergkristall eingewachsen oder sogar freistehend auf Nebengestein. Auch nadeliger Tremolit kam vor, der zumeist in Bergkristall oder Amethyst eingewachsen war, zudem Periklin und teils schöne Phantome bildender Chlorit. Derart große und bedeutende Funde stellen oft auch einen beachtlichen finanziellen Wert dar, der oftmals die weniger schönen Seiten menschlichen Charakters zu Tage treten lässt. Doch nicht bei den Mitgliedern des Saurüssel-Teams, die eine Jahrzehnte überdauernde tiefe Freundschaft verband und die noch viele gemeinsame Sammeltouren bis nach Namibia unternommen haben. Zwei der Teilnehmer sind leider bereits verstorben. Doch der Rest von ihnen trifft sich noch immer regelmäßig. Dieser Fund hat eben nicht nur mineralogisch, sondern auch freundschaftlich große Qualität bewiesen. Erika und Rudolf Planitzer sind nun beide fast 90 Jahre alt und nach anfänglicher Skepsis sind beide sehr begeistert von der Idee diese großartige Entdeckung mit einer breiten Sammlergemeinde zu teilen. Rudolf wollte immer vermeiden, dass er von kaufwilligen Sammlern und Händlern die Türen eingetreten bekommt. Natürlich hat sich die Kunde über den Fund auch so ziemlich schnell und weit verbreitet – trotzdem haben die beiden nie ein Stück verkauft.
Noch heute weiß Rudolf noch zu jedem kleinen Kristall eine Geschichte zu erzählen und all die wunderschönen Erinnerungen lassen sich nicht mit Geld aufwiegen. Aufdringlichen Besuchern wird die Türe gewiesen. Erika war und ist noch immer die untrügliche Spürnase ihres Mannes und hat in einem persönlichen Gespräch zu diesem Artikel einen besonderen Wunsch geäußert. Einmal möchte sie noch hinauf, auf den Mörchner – nur diesmal mit jemandem, der ihren Rucksack trägt.
Mein Dank für diesen Artikel gilt dem Ehepaar Planitzer, das mir so bereitwillig Tür, Tor und Vitrine geöffnet hat.